Liebe Studierende, ein letztes Mal in diesem Semester hallo und ich möchte Sie nun einladen,
in dieser letzten Vorlesungsstunde Rückblick zu halten auf den Stoff der vergangenen Sitzungen,
jetzt aber dezidiert von der Gegenwart her. Beim letzten Mal habe ich ja so ein paar Aspekte
rausgegriffen, Eurozentrismus, Rassismus, also an den Texten. Jetzt nehmen wir heute noch ein
bisschen mehr Abstand und schauen uns ganz bewusst reflektierend auf unsere Situation
hier heute, 21. Jahrhundert, noch mal die Prozesse im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert an.
Und ich glaube vieles werden Sie als sehr fremd empfinden, also geht mir nicht anders,
also wenn man Fichte liest, wenn man Hegel liest, vieles ist geradezu befremdlich. Ich glaube vor
allem aus heutiger Sicht fremd ist der ungebrochene Fortschrittsenthusiasmus bei einigen der Geistesgrößen,
die ich Ihnen hier vorgeführt habe. Also genau diese Forschungs-, Fortschrittsvisionen des 19.
Jahrhunderts, diese Ungebrochenheit der Erwartung, es geht weiter, es geht weiter, entweder Schritt
für Schritt oder in dialektischen Auseinandersetzungen. Genau, aber das ist uns heute abhanden gekommen,
und zwar so sehr, dass wir es fast nicht mehr nachvollziehen können. Und ich meine, Ideengeschichte
hat auch die Funktion, genau solche Differenzen aufzuzeigen. Also vieles ist schwer nachzuvollziehen,
vielleicht gar nicht mehr nachvollziehbar. Ich kann da auch nicht immer voll mitspingen, wenn ich Ihnen
das dann hier so vorführe. Also im Bemühen, es ein Stück weit von innen her zu verstehen, aber bei
vielem glaube ich, scheitern wir alle. Ja, so sehr sich die Verhältnisse, die Zeiten, die Plausibilitäten
seitdem geändert haben, so gibt es dennoch manche Einflüsse, die bis heute starke Prägekraft aus
dieser Zeit zeigen. Etwa das Links-Rechts-Schema in den politischen Bewertungen, wo man dann links
lange Zeit immer noch ein bisschen mit progressiv, also fortschrittsorientiert, assoziiert hat,
rechts mit konservativ oder sogar reaktionär, also fortschrittskeptisch oder sogar
vergangenheitsorientiert. Links progressiv, rechts konservativ oder reaktionär. Also da wollte ich
auch noch darauf zu sprechen kommen, da hat sich manches geändert. Trotzdem denken wir immer noch
an ein Stück weit entlang dieser Matrix. Der stärkste Einfluss mag aber darin bestehen,
dass das historische Bewusstsein, also das Bewusstsein der Veränderlichkeit der Verhältnisse,
nicht nur der Verhältnisse, auch der Institutionen, auch der Plausibilitäten, auch der Maßstäbe,
der Kategorien, uns heute eigentlich als unabweisbar gilt. Zeitlose Maßstäbe,
schwer nachzuvollziehen. Also gerade in der Auseinandersetzung mit dem, was uns sehr
befremdlich vorkommt, etwa bei der Beschäftigung mit Fichte, Hegel, anderen, merken wir, wie sehr
unser eigenes Denken sich auch davon distanziert hat, weiterentwickelt hat. Also im Grunde genommen
erleben wir die Geschichtigkeit gerade auf diese Weise auch noch einmal sehr direkt. Ich habe mir
für heute drei Themen vorgenommen, also um diesen Rückblick ganz bewusst jetzt mal aus dem
einstigsten Jahrhundert auch die Distanz zu erleben. Drei Themen habe ich mir vorgenommen.
Die Krise der Fortschrittsvisionen, die Ausdifferenzierungen innerhalb des politischen
Links-Rechts Schemas und die Ambivalenzen des Historismus. Also erster Punkt von dreien,
die Krise des modernen Fortschritts-Enthusiasmus. Diese Emphase, Geschichte geht nach vorn und
manchmal vielleicht auch durch Täler hindurch, aber am Ende wird alles besser. Das ist uns völlig
abhandengekommen, jedenfalls zumindest in der Ungebrochenheit ist uns das gar nicht mehr
zugänglich. Warum? Der Grund ist ziemlich simpel und ziemlich offenkundig. Nach den politischen
Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts, den menschengemachten politischen Katastrophen des
zwanzigsten Jahrhunderts ist das einfach nicht mehr denkbar. Nach Weltkriegen, staatlichem
Totalitarismus, nach Völkermord, Kriegsgefahren, Nationalsozialismus ein besonderer Kulminationspunkt
der Inhumanität. Also nach all diesen Erfahrungen ist es irgendwie völlig absurd, jetzt trotzdem
noch festzuhalten, ja die Geschichte geht nach vorn. Also jetzt immer noch dialektische
Fortschrittsgeschichte treiben zu wollen. Also das wirkt hohl, das wirkt schal, das wirkt
verlogen, irgendwie unernst. Es hat sich dann also im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts,
vor allem dann in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gezeigt, dass Kritik,
auch sehr radikale Kritik an diesen Fortschrittsvisionen nicht mehr wie eher dem ein
Reservoir der Konservativen ist. Ich meine solche Kritik hat es immer gegeben, hat es auch im
neunzehnten Jahrhundert gegeben, die hat es auch im achzehnten Jahrhundert schon gegeben, also Herder
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:50:49 Min
Aufnahmedatum
2020-04-09
Hochgeladen am
2020-04-10 14:49:00
Sprache
de-DE